Mittwoch, 27. Mai 2009

Ein ganz besonderer Dienst

Männertag... Früher war dieses Wort ein Quell unendlicher Freude. Schon Wochen vorher wurde überlegt, wo es denn hingehen könnte. Alle wurden antelefoniert, auch die Jungs, die mittlerweile weggezogen sind. Es wurden fleißig Einladungen verteilt und am Ende hatte man meistens ein nettes kleines Grüppchen gut gelaunter Männer zusammen, die ausgerüstet mit einer unglaublichen Menge Bier und sonstiger Alkoholika, sich warm trinkend in Richtung Bahnhof bewegten, um am Ende wieder die gleiche Route, wie immer zu nehmen...Männertag halt.

Also sagt man sich" An dem Tag haste keine Lust, Dienst zu schieben."
Ist ja klar. In den Jahren hat man so einiges selbst erlebt, vom fast allergischen Schock, bis hin zum gebrochenen Arm und dem Schädelhirntrauma. Nicht zu vergessen die leichte bis schwere Alkoholvergiftung mit oder ohne Bewußtseinsverlust, ohne die man ja ohnehin am Männertag in der Hackordnung wenig aufsteigt.
Also dachte ich mir, machste am Männertag keinen Dienst. So weit so gut. Blöd war nur das ich vergessen hatte auch den Folgetag in der Dienstplanung mit einzubeziehen. Das war nämlich ein Brückentag.

Tja, und was macht jeder vernünftige Mensch am Brückentag? Genau! Urlaub nehmen. Das war die erste Abfahrt, die ich verpaßt hatte. Die Lektion die ich hier lernte war folgende:

"Am Tag nach dem Tag X schlafen alle erstmal den Kater aus und dann beim Aufwachen merken sie, ups, ich hab ein riesen Loch im Bein. Hmmm. Hab ich gar nicht gemerkt gestern...aber heute, heute kann ich damit gar nicht mehr laufen, also geh ich mal zum Arzt."

Und hier kommt der Brückentag ins Spiel. Den haben nämlich meine lieben Kollegen der ambulanten Versorgung wie jeder vernünftige Mensch genutzt, um ihre Praxis zu schließen und das ohnenhin schon geschundene Budget etwas zu schonen.
Das heißt: Weit und breit kaum eine Hausarztpraxis offen und alle ambulant chirurgischen Kollegen hatten natürlich ihre Praxen ebenfalls geschlossen. Nicht jedoch ohne zu vergessen ihre täglich zu behandelnden Patienten in die Notfallambulanz für den Brückentag und das kommende Wochenende zu schicken.
Und so kam es wie es kommen mußte, mein Pieper meldete sich um 07.02 Uhr (Dienstbeginn 7.00) mit den ersten zu versorgenden Patienten von den lieben Kollegen. In meinem Fall waren es zwei wirklich geplagte Patienten mit Anokutanen Fisteln (Kanäle die den Enddarm mit der Haut in der Nähe des Afters verbinden, durch die Darminhalt fast permanent nach außen fliessen läßt) die gespült werden mußten.
Und zum Warmbleiben gesellten sich bereits die ersten "gestern" umgeknickten Füße in die Notfallambulanz, hinzu kamen die üblichen Gips- und Wundkontrollen, die eigentlich jeden Tag mal mehr mal weniger anfallen usw. Dass man immer etwas zu tun hat, ist normal. Der Unterschied heute war nur, das für jeden abgearbeiteten Fall, zwei bis drei neue Patienten kamen. Die Stimmung im Wartezimmer begann äquivalent zur Anzahl freier Stühle zu sinken und schon bald merkte man auch den Schwestern an (die übrigens unsere beste Sensorik bezüglich der Patientenstimmmung sind), das sich ein Volksaufstand ankündigt.

Als dann auch noch gegen 12.00 Uhr bei mittlerweile ca. 10 stehenden Personen im Wartebereich eine Notfalloperation fällig wurde (Loch im Dickdarm, dieses mußte unbedingt versorgt werden, da sonst absolute Lebensgefahr besteht), dachte ich mir: "Biste mal nett und gehst ins Wartezimmer und sagst den lieben Patienten, das es jetzt erstmal 2 Stunden dauert bis wieder etwas passiert. "
(Im absoluten Notfall steht auch mein internistischer Kollege zur Verfügung um die Leute zu behandeln, die leichten Fälle und das sind 90 % müssen allerdings warten, da der Kollege selber viele Patienten behandelt).
Ich also rein ins Wartezimmer und sag noch ganz nett, dass es uns leid tut, aber die Patienten könnten sicher verstehen, dass es absolut dringend ist und sie möchten ja auch wenn sie so krank sind, dass man sie gleich operiert.
Da werd ich von einer Angehörigen mit leicht hysterischem Ton angebellt, was mir denn einfalle... und ihre Verwandte würde bereits im Behandlungsraum sein... und die sei schwer krank und die hätte auch Diabetes und ... naja ich sag zu ihr, sie soll sich doch keine Sorgen machen, da ihre Verwandte doch jetzt bereits in Behandlung ist und die Schwestern passen auf und es kann ja nichts passieren. Dann geh ich ohne etwas zu ahnen in den Op-Saal, wo wir es tatsächlich schaffen das Darmproblem vor der angekündigten Zeit in nur 1,5 Stunden zu beheben.

Nach der OP, aus der mich der Kollege etwas früher entläßt, komme ich mit etwas zerzausten Haaren und einem unglaublichen Hunger, Durst und Harndrang (konnte ich alles bisher noch nicht befriedigen) wieder in die Notfallambulanz. Ich habe schon den Toilettentürgriff in der Hand , da nimmt mich gleich eine Schwester beiseite.
"Du die Verwandte von der Patientin in Zimmer X hat sich über Dich bei der PDL beschwert. Wir haben aber schon alles wieder schön gemacht und sie auf Händen getragen. Sie hat sich schon wieder beruhigt."

Und genau das ist eins der Probleme, die man in dem Job zunehmend bemerkt. Jeder noch so ferne Verwandte, der sich das ganze Jahr überhaupt einen feuchten Kericht um unseren Patienten kümmert, spielt sich im Krankenhaus fast zum Freiheitskämpfer für dessen Interessen auf.
Kennt man ja auch aus der eigenen Familie. Meistens gibts einen der sich kümmert und kein großes Federlesen daraus macht, aber immer gibts auch einen, der den dicken Maxl markiert, den der eigentliche Mensch, um den es geht, aber überhaupt nicht interessiert. Und so kommt es dann auch meistens zu dem was wir heimlich OMW-Syndrom nennen (Opa/Oma Muss Weg), man erfindet einfach irgendetwas, ein Symptom, das der oder die Patientin hat und liefert denjenigen oder diejenige im Krankenhaus ab (Vorzugsweise seit 5 Tagen keinen Stuhlgang, da wissen die Leutchen schon, das man das nicht so ohne weiteres in 5 Minuten klärt). Die werden sich dann schon im Kh um Oma/Opa kümmern. Das ist die Masche derer die sich schon auskennen.
Die Unerfahrenen probieren die soziale Schiene aus: "Also sie sind doch ein Arzt, da muss man den Leuten doch helfen" oder die "unwissende" Schiene "also wir kommen zuhause gar nicht mehr zurecht und wir wissen auch nicht an wen wir uns denn wenden sollen und da muss jetzt was gemacht werden, da haben wir ein Recht darauf (vorzugsweise Freitag abend um 20:30 Uhr)" und auf die Frage ob schon Kontakt bei Pflegeberatung oder Hausarzt gesucht wurde kommt immer ein nein.

Doch zurück zur Geschichte. Ich also nochmal dort rein ins Behandlungszimmer um nachzusehen was los ist. Sitzt da ne ultrafreundliche sehr zufriedene Verwandte, die unser Haus in den höchsten Tönen lobt. Und ich denk noch: "ups falsches Zimmer" aber nein nur Ergebnis von "(entschuldigung) Arschkriecherei". Direkt angesprochen auf die Beschwerde kommt nur:
"Naja ich war nur entsetzt sie waren ja total überfordert, ich meine nicht sie im speziellen, Herr Doktor, sondern die gesamte Abteilung, das hat mir schon Angst gemacht..."
Und dann rennt sie schnurstracks zur PDL (Pflegedienstleitung), die natürlich ankommt und den Schwestern ordentlich Dampf macht mit dem Ergebnis dass sich besonders um die erzürnte "Kundin" gekümmert wird. Das derweil ca 20 andere Patienten warten muessen spielt keine Rolle. Der "Kunde" ist König.
Weiter nachgeforscht ergibt es sich, dass unsere eigentliche Patientin derweil quietschvergnügt auf Ihrer Liege liegt, deftige Scherze macht und sie halt ein bisschen Schmerzen hat im Arm (aber geht schon Herr Doktor, im Krieg und beim Kinderkriegen hab ich schlimmeres erlebt) Auf die Frage hin ob sie den gestürzt sei oder was den passiert sei, erklärt die Patientin durchaus glaubhaft sie habe diese Schmerzen schon öfters und länger, sei aber vor 3 Tagen gestolpert und habe sich dabei mit dem Arm abgestützt während die Tochter mir zu verstehen gibt, das das so zu Hause nicht mehr geht und wir die Patientin unbedingt stationär aufnehmen müssen (Stichwort OMW). Die Patientin hat im übrigen überhaupt keine Lust ins Krankenhaus zu kommen , wer hat das schon, und wird dann erstmal schön bearbeitet.
"Du willst uns doch nicht schon "wieder" Ärger machen. Denk doch mal an X was der alles in der letzten Zeit .... "
Nach entsprechender Konditionierung der Patientin folgt dann die letzte totale Absicherung wiederum an mich,
" Also mit dem Arm kann sie sich zu Hause ja gar nicht helfen und außerdem ist sie dement, sie sehen ja, sie kann das gar nicht einschätzen."
Kommt mir eigentlich nicht so vor, die Patientin scheint eher vernünftig zu sein. Aber bevor die arme Dame dann zuhause alleine sitzt und nicht zurechtkommt oder was noch schlimmer ist sich unsere Verwandte erneut beschwert und man vom Chef dann eine Abmahnung kriegt wegen ungebührlichen Verhaltens...
Tja und was macht man dann? Dann nimmt man eine Patientin stationär auf, auf medizinischer Basis eigentlich nicht begründbar, man nennt das "Soziale Indikation" damit die armen gestressten Verwandten ihr Wochenende schön stressfrei verbringen können oder vielleicht auch ein paar Tage mehr, bei Leuten über 70 ist es ja nicht schwer in der täglichen Routine irgendeine Erkrankung zu finden.
Wäre an diesem Tag weniger los gewesen hätte, ich vielleicht noch versucht zu diskutieren, auf die Verantwortung und das Gewissen zu appelieren aber in dem Fall sagte ich mir, na wir haben noch ein paar Betten frei, auch wenns die Kasse ehh nicht bezahlt, dann nimmste die alte Dame halt stationär auf. Und so kams. Schöner Herrentag!