Mittwoch, 18. Mai 2011

Staatsakt wider Willen

Tag. War ne Weile weg, aber heute gibts mal wider ne Geschichte aus der ärztlichen Realität. Es hat sich persönlich einiges geändert, aber das ist eher Stoff für nen eigenen Blog. Nur soviel, ich bin endlich meine Ambulanzstelle losgeworden, dewegen müßte man eigentlich den Blog umbennen, aber das ist glaube ich ein zu großer Akt...

Aber meine Notarzttätigkeit liefert weiterhin Stoff für lustige, spannende und traurige Geschichten aus dem deutschen Gesundheitswesen. Die heutige hat eher das Label unglaublich verdient ist aber bis auf wenige Datenschutzteile tatsächlich authentisch und so erlebt worden...



PIEP,PIEP,PIEP...häh? Ahhh Notarztdienst mit einem geöffneten Auge schaut DoctorX auf sein Uhr. "Uhrzeit 23:30 Einsatzort Polizeiwache zur Feststellung Suizidalität. " krächzt der Funkpieper.
Toll... wieder einmal soll DoctorX in 10 min ein Gutachten über die Geistige Gesundheit einer Person und damit über ihren weiteren Werdegang in den nächsten Wochen entscheiden. Also, los mit Blaulicht zur Polizeiwache, dort ist für diese Uhrzeit verdächtig viel los !?
Wir laufen erstmal gemütlich an der Sperre im Eingang vorbei, freunliche Nickbewegungen zu den anwesenden Beamten, auch Händeschüttlen mit einzelnen werden ausgetauscht. Man kennt und schätzt sich...muss ja auch oft genug zusammen arbeiten, zu Unzeiten und unter zum Teil hahebüchenen Bedingungen, auch wenns manchmal, wie überall, auch dort komplizierte und auch bösartige Persönlichenkeiten gibt.
Ziemlich viele neue Gesichter vor allem in Zivilklamotten stehen auf dem Gang rum. Ne flotte Zivile mit ner Pistole am Gürtel und wehendem vollen Haar winkt DoctorX zu einem der Räume..wie sexy Frauen mit Waffen doch sind, hmmm auf welche machismen Gedanken das schlaftrunkene Hirn doch um die Uhrzeit kommt, aber zurück zur Sache.
Ich sehe zum erstenmal meinen zukünftigen Patienten. Ein junger Mann, Kurzhaarschnitt, sieht vernünftig aus, keine äußerlichen Anzeichen für psychischen Streß, sitzt da mit drei zivilen Beamten und sie unterhalten sich über Frauen. Erste Gesprächsfetzen zeigen erste Zeichen auf worums geht. Ich hör gerade noch wie einer der Polizisten sein Beileid über die bescheuerte Freundin des Delinquenten abläßt, dann stellt mich meine fesche Begleiterin diesem vor.
Ich stell mich ebenfalls nochmal vor, Händeschütteln erster Kontakt mit dem Patienten, fester Händedruck, Gesicht öffnet sich, Hoffnung und auch ein bissl Angst im Gesicht meines zukünftigen "Schäfchens".

Ich lasse mir die Situation schildern: Mein Patient, ehemaliger Zeitsoldat, ist viel unterwegs aus Arbeitsgründen. Hat Streß mit der Freundin, die üblichen Probleme: sie will mehr, er kann oder will nicht, also setzt sie ihm ne Frist, die er verstreichen läßt und sie "schießt" ihn ab. Er merkt dass er sie doch liebt, "Zug ist allerdings abgefahren" und sie wirft ihn raus. Er packt seine Sachen (wichtige Details sind hier eine Sammlung unterschiedlicher Nahkampfwaffen und eine Übungsgranate der Bundeswehr, die allerdings nicht mehr scharf ist) und fährt mit seinem Auto los. Man fängt an die Sache per SMS weiter zu bearbeiten. Die Emotionen kochen hoch, er droht mit Suizid. Sie kriegt Angst und ruft die Polizei an. Soweit so gut. Und hier bekommt die Sache die falsche Wendung. Die Suchaktion der Polizei beginnt eher langsam, ein Polizist recherchiert nicht sehr genau das ganze läuft noch auf der untersten Polizei Ebene ab. Nachdem es nicht gelingt den Patienten zu lokalisieren wird nach Stunden eine Handyortung durchgeführt. Diese ergibt dass der Gesucht sich gerade auf einer Strße befindet die zufällig in den Wohnort eines sehr hochdotierten Landespolitiker fürt. Der Adrenalinpegel steigt und die Sache wird an den höheren Dienstgrad weitergegeben, allerdings fehlt ein kleines aber feines Detail über den Zustand der Granate. Die Stimmung in der Wache kocht über, Granate plus Politiker gleich Terror heißt die Formel und jetzt wirds utopisch. Man ruft das SEK und einen Hubschrauber, der Delinquent, der nichts ahnt wird von einem Einsatzteam actionmäßig gestoppt (in den Lauf einer Waffe zu starren ist für den jungen Mann wegen seiner BW-Karriere zwar nicht so schockig, Ziel eines SEK-Einsatzes zu sein nimmt ihn allerdings doch ein wenig mit). Im Nachhinein wird festgestellt, das der junge Mann kein Terrorist ist und nach einigen Stunden Bürokram (es ist mittlerweile der Folgeabend) ruft man mich zum Entscheid über den weiteren Verbleib des Patienten...
Und wiedereinmal muss ich darufhinweisen, dass ich als Notarzt in keinster Weise befähigt oder ausgebildet bin über die mögliche geistige Stabilität des Patienten zu entscheiden. So rufe ich also wie immer in dieser Situation, nachdem die gewisse Eigen- und Fremdgefährdung nun sogar amtlich dokumentiert ist in der benachbarten Psychiatrie an und bitte um eine Stellungsnahme der dafür asugebildeten Kollegen. Und wie immer kommt der diensthabende mir erst mal blöd, und meint nach einigen Minuten Diskutiererei O-Ton- im Sinne von "wie... sie können nicht entscheiden ob der Patient stabil ist in 30 min Unterhaltung" (...was die Kollegen dort manchmal in wochenlanger Unterhaltung mit dem Patienten nicht rauskriegen). "Aber ja wenn Sie es sich nicht zutrauen, dann kommen sie halt mit dem Patienten vorbei".

Gut, gesagt getan, wir fahren mit polizeilicher Unterstützung in das entsprechende Klinikum, wo mir dann der Kollege (dersselbe mit dem ich telefoniert hatte) mitteilt, er sei kein Facharzt und damit nicht befugt eine Entscheidung bezüglich des Patienten zu treffen und muesse ihn daher aufnehmen. Aha...wie war das noch gleich vorhin...egal...

Ich verabscheide mich noch von dem Patienten, auf der Fahrt hatten wir uns noch nett unterhalten auch mit dem Polizisten, ein ebenfalls sehr netter Mensch, wünsche ihm alles Gute und wir fahren nach Hause.