Dienstag, 7. Juli 2009

Das doppelte Lottchen? oder wie zeig ichs dem deutschen Gesundheitssystem

PIEP, PIEP, PIEP, wieder einmal treffend zum richtigen Zeitpunkt beginnt der Pieper seine Arbeit, ich lasse mein gerade lecker geschmiertes Brötchen fallen, werfe mich in die besagte Jacke und schlendere schnellen Schrittes Richtung NEF.
Tja... NEF ist nicht da. Kennt man schon, wahrscheinlich "Auffüllen" oder sonstige "Maßnahmen".
Nach ca. einer halben Minute kommt der Kutscher angerast. Es ist der "schweigsame Hans" ich nenn ihn so, weil eine Kommunikation während der Fahrt oder auch sonst auf absolut rudimentärem Niveau verläuft. Ich steige ein und Hans funkt erst mal alle Daten rein. Nachdem alles durchgegeben wurde kuckt er mich an und sagt:...Versteh ich nicht, da waren wir doch heute morgen schon, und die haben wir mitgenommen." Eine ungewöhlich lange Aussage vom schweigsaamen Hans. Ich kuck mir die Adresse und den Namen an und stimmt... komplett vom Namen bis zur Hausnummer, dieselben Daten. Vornamen gibts nicht.
Einsatzmeldung: "Bewußtlose Person"
"Vielleicht haben die Internisten sie heimgeschickt und sie hat sichs anders überlegt oder der Mann hat jetzt noch was und wir muessen ihn holen..." überlege ich so laut vor mich hin. Schukterzucken vom schweigsamen Hans.
4 Minuten später vor Ort. Wohnblock, sozialschwache Gegend, Arbeitslose mit Bierflaschen (es ist gerade mal 9 uhr morgens), also wieder einmal der soziale Brennpunkt, fremdstämmige "Deutsche mit "Integrationsschwäche" (den Begriff habe ich vor kurzem in einem einschlägigen Politmagazin gelesen), aber auch Hartz IV- Empfänger sonstiger Couleur oder sozialschwache Familien am Lebensminimum wohnen hier.
Wir werden auch gleich winkend von einer jungen Frau begrüst, die mit Accent uns darauf hin weist, dass es ihrer Mutter schlecht geht und sie aber einen Schlüssel zur Wohnung hat. Wir eilen durch enge Flure in den 3.Stock, die Frau sperrt die Wohnungstür auf und....
Keine Reaktion.
Wir eilen durch alle Räume keine Patientin vor Ort. Hmmmmm.
Ich frage dann doch nochmal nach wer denn den Notruf ausgelöst habe. Sie selbst meint die junge Frau. Ob sie den mit Ihrer Mutter gesprochen habe. Nein, diese sei gar nicht ans Telefon gegangen....
Jetzt kommt auch der schweigsame Hans und erklärt, dass die Patientin am Morgen bereits den Rettungsdienst gerufen und von diesem in der Notfallambulanz abgeliefert worden war.
Super. Ca. 500 EURO des Steurerzahlers für nichts.
ich will auch gar nicht wissen wie oft solche Fälle in unserem schönen Lande passieren. Anstatt das die Leute
a) überhaupt erst mal nachdenken bevor sie den Notarzt anrufen und
b) der Leitstellendisponent bevor er einen Einsatz auslöst vielleicht soviel mitbekommt, dass 2 Stunden bzw. wenige Einsätze zuvor derselbe Patient betroffen ist und anständigt rückfragt.

Wer ist schuld? Who knows.

Zum selben Thema vor kurzem privat selbst erlebt:

Wir saßen am Wochenende abends draußen auf einer Mauer in der Ausgehzone unserer Stadt, da kamen ein Mädel und ein Typ ca 13-15 Jahre alt mit einer gleichaltrigen in der Mitte diese sturzbetrunken aber noch halbwegs gehfähig. Die beiden laden die junge Dame gegenüber auf einer Bank ab. Das Mädel ist so betrunken, dass es gleichmal aus dem Stand "sich seine letzten Getränke noch einmal durch den Kopf gehen läßt". Danach fängt sie an zu heulen.
Die beiden etwas ratlosen Begleiter besprechen sich kurz und dann zückt der Typ sein Handy.
ich schubs meinene Nachbarn an und zeig darauf und sach noch zu ihm: pass ma auf die rufen jetzt den Rettungsdienst. Dann setzen die drei sich hin und warten, derweil rafft sich das betrunkene Mädel wieder auf und torkelt weiter. Die beiden anderen hinterher. Kurze Zeit nachdem die drei außer Sicht sind, taucht der RTW auf und zwei ratlose Sanis kucken sich an besagter Stelle um. Nachdem wir sie in die Richtung gwiesen haben in der die drei verschwunden sind, versuchen sich die Sanis mit ihrem RTW mit Blaulicht durch die Menschenmassen vorzuarbeiten. Zehn Minuten später kommt der RTW erneut zurück, hält nochmal, die Jungs bedanken sich und meinen dass sie keinen gefunden haben.
Frechheit...Warum ist sowas möglich. Das ist die totale Geldverschwendung. Und wenn man sich in der Notfallambulanz umkuckt, sind diese Jugendlichen mit Alkoholvergiftung keine Seltenheit.

Da frage ich mich mal abgesehen von der Lästigkeit dieser Patienten dann doch, warum diese Fälle immer mehr zunehmen. Wenn wir früher losgezogen sind und auch wirklich mal einen über den Durst getrunken hatten, dann schlief man zuhause den Rausch aus und schleppte seine Leute doch nicht in die Notfallambulanz! Was hat sich verändert? Ist es die Angst, die durch die Medien verbreitet wird? Oder was ist die Ursache für die Zunahme dieser Fälle.
Ich hätte mich in Grund und Boden geschämt, wenn mich meine Eltern in der Notfallambulanz jemals wegen eines Rausches hätten abholen muessen und hätte dies auch keinem meiner Leute zugemutet. Dann hat man sich halt daneben gesetzt und den- oder diejenigen ausgenüchtert.
Das die Notfallambulanz ne schnelle Möglichkeit ist, die Verantwortung abzugeben ist eine weitere Möglichkeit. Freund- oder Freundin ab in die Notfallambulanz und schon gehts weiter mit der fetten Party. Un das gute ist, du mußt ihn auch gar nicht hinbringen, Taxidienst inklusive und das alles für nur 10 EURO. Falls du befreit bist, da sogar für umsonst!

Montag, 15. Juni 2009

Notarzteinsatz mit Überraschungseffekt

Es ist ca. 14 Uhr an einem ganz normalen Arbeitstag. Seit kurzem habe ich die Ehre von Zeit zu Zeit tagsüber "Träger des Notarztpiepers" sein zu dürfen.

Unser kleines Krankenhaus muss nämlich die notärztliche Versorgung in seinem Landkreis sicherstellen. Und wie solls auch anders sein, auch bei uns macht sich der Ärztemangel breit.
Da wir ein Haus der Grund- und Regelversorgung sind, bleiben bei uns die Ausbildungsassistenten nicht lange genug um überhaupt die Notarztqualifikation zu erwerben (Halbwertszeit eines Assistenten ca. 3 Jahre, danach hauen alle meistens ab). Deshalb gerät die notärztliche Versorgung immer mehr in eine Schieflage, da nur die Altassistenten und Fachärzte den Notarztdienst übernehmen können (eigentlich sollen diese operieren oder im internistischen Falle ihre Funktionsdiagnostik oder Interventionen durchführen).
Naja auf jeden Fall gehörte ich bis vor kurzem auch noch zu denen ohne Qualifikation. Verschuldet war dies durch die Umstände, dass man eben auf bestimmte Abschnitte der Ausbildung warten muss (Stichwort ITS-Zeit) oder schlicht und einfach kein Geld hat um den Kurs zu bezahlen(560 EURO) oder keinen Urlaub mehr hat (7 Tage Kurszeit).
Man könnte nun ketzerisch die Frage stellen, wenn doch das Haus den Sicherstellungsauftrag hat und möchte auch viele Notärzte ausbilden, um diesen Auftrag zu erfüllen, dann könnte doch eine umsichtig planende Verwaltung diverse Schwierigkeiten von sich aus beseitigen (siehe oben).
Ich denke da an strukturierte Ausbildung (vielleicht ein Rotationsplan) oder an ein, "das Haus bezahlt den Kurs", oder vielleicht ein "wir stellen sie für den Kurs frei". Aber nein, man spart am Geld ("den sie profitieren ja wenn sie den Kurs haben, dann können sie ja mit der Qualifikation Geld verdienen!"), an der Zeit ("sie haben 5 Tage Fortbildungsfrei, bisher haben alle immmer zwei Tage für den Kurs gekriegt, den Rest nehmen sie bitte Urlaub!") und am Ende tritt man auch noch 3/4 der Kohle ans Haus ab, wenn man dann tagsüber Notarzt fährt...
Und dann wundert man sich tatsächlich, dass sich die Leute nicht sofort auf den Kurs stürzen und ihn absolvieren...tststs. Aber ich schweife vom Thema ab.

Wo war ich... ach ja: PIEP, PIEP, PIEP: Einsatzmeldung: V.a. Schlaganfall

Ich stürme also voller Elan zum NEF, bewaffnet mit der "NOTARZT"Jacke. Mein heutiger Fahrer, im Rettungsdienstslang heißt er der "NEF-Kutscher", erwartet mich mit dem Spruch "Ruhig Brauner..." und startet den Motor. Ihn mag ich persönlich wirklich gerne, da er gleich mehrere Eigenschaften in sich vereint:
Penibelste Genauigkeit, gepaart mit einem Schandmaul, dass schonungslos auf jede kleinste Fehlleistung irgendeiner Art bei den Rettungsdienstlern, aber auch bei den Notärzten hinweist, dabei aber ein unheimlich gutes Gespür für die Situation hat und eine gesunden Portion ätzender Humor (.... und er hört gute Musik).

Wir fahren los, ganz in die Nähe vom Krankenhaus. Im Geiste gehe ich noch einmal Diagnostik und die Richtlinien für das Procedere Schlaganfall mit Lyse durch. Ca 2 min später, hiefen wir uns aus dem Auto, der RTW ist noch nicht vor Ort, wir nehmen also zur Sicherheit erstmal die notwendigsten Sachen mit.
Hmmm, erster Blick in die Umgebung: Unterschicht, merhstöckige Sozialwohnungen, mehrere Personen mit Bierflaschen, die rauchend in der Gegend rumhängen. Mein Kumpel im Osten würde dies wahrscheinlich alles unter "Platte" zusammenfassen (obwohl die Wohnungen in den sanierten "Platten" nicht schlecht sein sollen...) .
Mein Fahrer hält mir Handschuhe hin, "hier die brauchste hier sicherlich".
Wir gehen also ins Gebäude - 5. Stock.
Fahrer: " ich wette auf über 100 Kilo". Ich nicke nur.
(Kenn ich von früher, als ich selbst noch als Sani, mehr als 150 kg Lebendgewicht, per Tragestuhl in einem Treppenhaus mit Radius unter 1m, die Leutchen ins Auto geschleppt habe. Scheint so eine Gesetzmäßigkeit zu sein. "Das Körpergewicht der zu tragenden Person steigt proportional zur Höhe der bewohnten Etage.")
Wir sind angekommen und klopfen. Eine besorgt aussehende ältere Dame öffnet die Tür. Ein hüfthoher Hund flutscht durch den offenen Spalt, die Frau schickt ihren Mann hinter dem Hund her. "Edgar (Namen verändert)! Geh mal dem Hund hinterher!"
Ich schüttel der Frau die Hand, stell mich vor und frag sie worum es geht. Die Frau führt mich ins Wohnzimmer. Schon im Flur fällt mir die Unordnung, die abgestandene Luft und der insgesamt verlotterte Zustand der Wohnung auf. Ein Blick zum NEF-Kutscher wird vielsagend mit Gestik Richtung Handschuh erwidert. Wir stapfen hinter der Frau her.

In der Wohnung sitzt eine Dame mittleren Alters im Nachthemd auf der Couch, die, so bald sie mich sieht, sofort den Kopf schüttelt und sagt: "Ohhh nee, was wird den das nun hier?"
Das Wohnzimmer sieht aus wie nach einem Sturm durch eine SEK-Einheit. Überall liegen Zeitschriften, leere Verpackungen von Essen, Hundefutterschachteln, und sonstige Dinge herum. Die Läden sind heruntergelassen, Schubladen stehen offen, Post liegt herum und in der Wohnung steht die abgestandene Luft(Gott sei Dank stinkt es nicht...). Der Fernseher läuft, irgendso eine Telenovella in wahnsinniger Laustärke.
Die erste ältere Dame stellt sich als die Mutter der zweiten Dame heraus. Diese hatte uns auch telefonisch alarmiert, da sie Angst um ihre Tochter gekriegt hatte, wegen eines möglichen Schlaganfalles.
Nachdem ich es tatsächlich geschafft habe, um überhaupt etwas zu verstehen, zunächst das Fernsehen leisermachen zu lassen, ausschalten war keine Option, und die Dame ganz grob auf ihre Vitalparameter einschließlich ihrer Vigilanz untersucht habe (das tolerierte sie seltsamerweise...), komme ich zu dem Schluss zuerst einmal ausführlich außerhalb des Raumes mit der "Mutter" zu sprechen.

Wie sie denn auf einen Schlaganfall komme, frage ich die ältere Dame, nachdem ich bereits bei dem Disput mit der jüngeren Dame zwar festgestellt hatte, dass diese höchst auffällig, jedoch auf den ersten Blick nicht neurologisch eingeschränkt erscheint.

Naja ihre Tochter habe ihr am Telefon mitgeteilt, dass sie nicht sprechen könne und auch nicht mehr schreiben und da sie sowas von der Nachbarin kenne, den, diese hatte einen Schlaganfall erlitten, habe sie pflichtbewußt den Notarzt gerufen.
Hmmm... eine Schreibschwäche hatte ich nicht überprüft, aber eine Sprachstörung war beim besten Willen bei der zweiten Dame nicht festzustellen.
Ob sie denn schon unter bekannten Krankheiten leide, frage ich die alte Dame.
Naja, meinte diese, bis auf ihre Angststörung wäre sie bisher noch nicht in Behandlung gewesen. Aber sie wäre ja auch schon seit 5 Jahren nicht mehr beim Arzt gewesen. Und damals wäre alles schief gelaufen, sie habe ganz anders reagiert auf die Medikament als die Ärzte geplant hätten und so hat sie einfach alles weggelassen und hat auch keine weiteren Arztbesuche getätigt.
Was ihre Angststörung beinhalte und wie sie aktuell damit zurechtkomme, ist meine nächste Frage...
Naja sie hätte Angst vor Ärzten und traue sich auch gar nicht mehr vor die Haustüre. Seit 5 Jahren habe sie das Haus nicht mehr verlassen.
Etwas erstaunt frage ich weiter. Wie denn ihr Leben, einschließlich des Hundes, dann überhaupt verlaufen würde, frage ich die ältere Dame.
"Naja", berichtet diese, "mit dem Hund Gassi gehen, Einkaufen und grobe Sauberkeit in der Wohnung und so das machen mein Mann und ich."
Aha, sage ich und wegen Arbeit und so, von was lebe ihre Tochter denn, ist meine nächste Frage.
Na Arbeit habe sie seit 5 Jahren nicht mehr. Harz IV-Empfänger sei sie.
"Dann muss sie nicht auch von Zeit zu Zeit aufs Amt?" frage ich weiter.
Nö, da wäre die Tochter noch nie gewesen, das erledigen ebenfalls sie und ihr Ehemann. Man kenne jemand dort vor Ort.
Ein Blick ins Gesicht meines Kutscher zeigt das mittlerweile fallende Stimmungsbarometer. Ich sehe eine Brille und eine Rechnung vom Optiker.
"Und wie haben sie das mit der Brille gemacht, der muss da doch die Sehstärke ausmessen... "
"Wir haben einfach die alte Brille hingebracht, dass hat ganz gut funktioniert..."erwidert die alte Dame.
Da wundert es mich doch schon, dass es anscheindend im bürokratischen Deutschland möglich ist, komplett alle Ämtergänge zu erledigen ohne dass die betreffende Person anwesend sein muss.
Nun nachdem ich der Dame erklärt habe, dass ich auf keinen Fall unter diesen Umständen einen Schlaganfall oder eine TIA ausschließen kann und aber auch der Meinung bin, dass das ganze hier sowieso nicht so weiter gehen kann, versuche ich erneut mit der Patientin zu reden, um ihr klar zu machen dass ein Arztbesuch nun unaufhaltsam ist. Dabei deute ich bereits an, dass sie eben nun keine Möglichkeit mehr hat, dieses Angebot abzulehnen und nun wählen solle, ob sie freiweillig mitkommt oder ob ich das Sozialgericht einschalten muss. Denn und das wissen viele nicht, es erfordert immer einen richterlichen Bescheid um jemand gegen seinen Willen ins Krankenhaus zu bringen. Noch nicht einmal die Polizei agiert mehr ohne solch einen Beschluss...

Nachdem ich nun alle Optionen meiner Patientin erörtert habe und wir auch mit Engelszungen sowohl der Mutter, als auch der Kutschr auf seine spezifische Art und ich nicht zu ihr vordringen können, muss ich in den sauren Apfel beissen und die "Staatsgewalt" alarmieren. Etwa 30 Minuten später erscheint diese in Gestalt von 2 Beamten in Uniform und dem Amtmann, der nun von mir hören will, warum den "freiheitsentziehende Maßnahmen" angesagt sind. Und jetzt kommt es:
es müssen klare juristische Voraussetzungen vorliegen um diese Maßnahmen zu rechtfertigen. Also, dass unsere Person bereits 5 Jahre lang das Haus nicht mehr verlassen hat und auch sonst eher schlecht mit dem Leben klar kommt, reicht nicht als Grund... Nachdem ich nun aber besagten Schlaganfall nicht wirklich ausschließen kann und damit auch eine Lebensgefahr besteht und die Dame dies auch offensichtlich nicht rational erfassen kann, liegt der Grund zumindest für eine 24h-dauernde Unterbringung zur Diagnostik vor und der Dame wird dies durch die behandschuhten freundlichen Polizisten verdeutlicht. Nach sanftem rhetorischen Nachdruck durch die Herren in grün, läßt sie sich durch die vorhandene Staatsgewalt doch überzeugen und begleitet uns in den RTW.

Während der ca 40 minütigen Fahrt taut sie sogar etwas auf und wir dürfen ihr Stofftier streicheln...In der Neurologie/Psychiatrie angekommen wird die Dame zunächst an die Kollegen übergeben, die sich so gar nicht über meinen Erfolg freuen, dass ich die Dame aus ihrer gewohnten Umgebung herausreiße um sie in die ärztliche Obhut zu übergeben.

Zähneknirrschend müssen aber auch die Kollegen anerkennen, dass ein Schlaganfall zwar nicht wahrscheinlich, aber auch in letzter Instanz nicht auszuschließen ist. Meine Vermutung, dass es sich bei der Symptomatik eher um eine kleine Episode der Angststörung der Patientin handelt wird mit einem Achselzucken abgetan.
Diese hatte mir auf der Fahrt verraten, dass sie einen kleinen Streit mit der Mutter hatte und sie hatte sich deshalb sehr über diese aufgeregt und dann hätte sie bemerkt, dass sie Angst gekriegt hat, dass sie schlechter reden könne und auch schlechter schreiben und dass sie eine schlechte und dumme Tochter sei. Dabei habe sie dann gemerkt, dass sie eben nicht mehr reden und schreiben könne, dann habe sie ihre Mutter angerufen und ihr dies mitgeteilt)


Schade, ich sah eigentlich hier die Möglichkeit, etwas im Leben der Patientin zu verändern und sie vielleicht besser lebensfähig zu machen, jetzt wo sie schon mal beim Arzt ist. Dummerweise habe ich nicht das Gefühl, dass hierzu diese Vorstellung in der Neurologie/Psychiatrie diesmal ausreicht, da die Kollegen nicht so sehr den Enthusiasmus verspürten, die Patientin wieder lebens- und gesellschaftsfähig zu machen. Wahrscheinlich wird der Schlaganfall ausgeschlossen und die Patientin wieder nach Hause entlassen. Bis dann zum nächsten Einsatz in Ihrer Wohnung...

Freitag, 29. Mai 2009

Ein typischer Dienst

Nachts 3.00
Mein Telefon klingelt. Ich versuche mich zuerst zu orientieren. Ah... bin in der Klinik, vor 2 Stunden ins Bett, immerhin. Am Telefon ist ausgerechnet die einzige Schwestern mit der ich nicht so gut zurecht komme. Wir hatten heute schon einen Disput über einen Patienten und den hat sie mir glaube ich übel genommen...
"Eine Kopfplatzwunde" wird mir durch den Hörer an den Kopf geschmettert.
"Aha...der typische Fall. Alkoholisierter Jugendlicher bis junger Erwachsener oder Pflegebdürftige aus dem Heim, gestürzt...mal sehen" denke ich mir, während ich mich langsam in meine Dienstklamotten hineinzwenge. Noch schnell ins Bad Zähneputzen, auch wenn der Patient aus dem Mund riecht (Stichwort alkoholisierter Jugendlicher) muss ich es ja nicht auch noch tun. Schnell noch ne Ladung kaltes Wasser und schon bin ich auf dem Weg in die Notfallambulanz.

Treffer, ersteres ist der Fall. Ein alkohlisierter, gerade-Döner-gefrühstückter Mitt-Zwanziger, leicht schwankend am Anmeldetresen. Die Schwester zu mir:
"Na da haben wir jetzt aber ein Problem, Doktor, der Patient hat gar keine Platzwunde, da hat die Leitstelle mir was Falsches durchgesagt." Supi.
Ich wende mich an den noch dabeistehenden Sani: "Was ist den passiert"
Sani:" Na die Polizei hat mich gerufen, die haben ihn", er zeigt auf den Schwankenden "aufgefunden und stellen ihn jetzt vor, zum Ausschluss einer Verletzung. Angeblich hätte er sich laut seiner Aussage geprügelt, die Polizei glaubt aber, er hat sich beim Stolpern die Zähne rausgeschlagen".
Ich zum Patienten: " Na wo tuts weh?"
*Wolke aus Knoblauch und Alkohol weht mir ins Gesicht*
"Nirgends. Hab nix. Weiss auch net, warum mich die Bullen angehalten haben, ich war schon fast zu Hause, wie komm ich denn jetzt nach Hause?".
Ich: "Na haben sie denn die Polizei informiert oder sind sie einfach so an Ihnen vorbeigefahren?" Patient:"HMRRFFLL" *wendet sich ab und murmelt etwas in den Bart*
Ich:"Was ist den passiert?"
Patient:" Na hier das A*piep* von *piep* hat mir so mir nix ohne was zu sagen eine reingehauen"*zeigt zwei Stifte, wo mal die Schneidezähne waren*
Ich:"Aha und jetzt sind die Zähne weg, tut das weh?"
Patient:"Nöh waren ehh nur Stiftzähne, aber anzeigen will ich die *Piep*.
*wendet sich zum Sani*
Patient:"Du fährst mich doch gleich nach Hause oder?"
Die Schwester *in herrischem Ton*:" Darf ich jetzt zuerst mal die Daten einlesen"
Ich: *händehebend*"Okay, okay"
Derweil der Patient immer wieder: "Mann wie komm ichn jetzt wieder nach Hause, ich muss doch um 6 auf Arbeit."
Die Schwester: "Die Chipkarte bitte; das kostet 10 Euro Praxisgebühr"
Patient *sofort* "Hab ich net mit"
Die Schwester *frostig* "Wirklich kucken sie doch mal in Ihrem Portemonnaie!"
*Patient schaut ungefähr 1/10 Millisekunde ins Kleingeldfach seines Portemonnaies* und sagt:
"Hab nur noch 3 Euro!"
*grinst, sieht eine Schachtel Ferrero Küsschen hinter dem Tresen stehn und kuckt die Schwester mit einem Hundeblick an.*
Patient:" OHH krieg ich nen Ferrerari...*kuckt sie an*sie brauchen das ja ehh nicht...Schwester Evelin...*sucht ihr Namensschild*
Patient: "ich weiß nicht wie sie heißen, aber sie haben ja auch kein Namensschild
*kuckt mich wieder an, grinst...Knoblauch und Alkohol*.

Hier muss man wissen, das besagte Schwester etwas korpulent und auch sehr empfindlich bezüglich dieses Punktes ist. Nur mit größter Anstrengung gelingt es mir ein Grinsen zu vermeiden, der Sani kann schon fast nicht mehr, läßt sich schnell eine Unterschrift auf dem Transportschein geben und haut ab. Ich bilde mir, ein ein Glucksen aus der Richtung zu hören in die er davon eilt, bevor sich die Türe hinter ihm schließt.

Patient " Ähh wie kommichnu nach Hause"
Ich *sachlich* : "Na nun lassen sie uns doch zuerst mal schauen wo sie Ihre Beschwerden haben"
und fange an, ihn mit Fragen bezüglich möglicher Verletzungen zu bombadieren. Nachdem er zwischenzeitlich, zweimal aufs Klo und auch zweimal noch die Schwester um ein "Ferrari" bzw "Ferrerio" angebettelt hat, jedesmal mit mehr Feindseiligkeit in der Blickantwort der Schwester,
habe ich herausgefunden, dass er bis auf die durchaus schädliche Menge an Alkohol in seinem Blut eigentlich keine Beschwerden hat. Auch eine Beeinträchtigung seiner geistigen Fähigkeiten im Sinne einer Unzurechnungsfähigkeit liegt nicht vor. In medizinischen Kreisen spricht man von Orientiertheit zu Ort, Person und Zeit. Also beginne ich vorsichtig zu sondieren.
Ich: "Also mit dem Alkohol, den sie im Blut haben muss ich sie eigentlich mindestens 24h überwachen und dass es im Rahmen der nächsten 48 Stunden wegen des Schlages gegen den Kopf zu einer intracerebralen Blutung kommt kann ich nicht ausschließen, deshalb würde ich Ihnen einen stationären Aufenthalt empfehlen. Verstehen sie was ich sage?"
Patient:"Kannste vergessen Alter, ich muss morgen arbeiten"
Ich:"Aber dann muessen sie mir eine Erklärung unterschreiben, in der sie mich von jeglicher juristischer Verantwortung entbinden, wenn sie jetzt nach Hause gehen."
Patient:"Mach ich, *stolz* hab ich schon ein paar Mal uterschrieben, soen Wisch"
Ich:" Okay, aber ich muss Ihnen mitteilen, dass es auch im Rahmen dieser Verletzungen zu bleibenden Lähmungen oder sogar einem plötzlichen Tod kommen kann."
Patient: "Is mir egal, ich geh nach Hause.Wie komm ichn nach Hause, könnt ihr nicht nochmal den Kutscher rufen, der hat mich ja immerhin auch geholt."
Ich: "Nein tut uns leid, das geht aus versicherungstechnischen Gründen nicht, aber ich kann Ihnen ein Taxi rufen, da muessen sie aber zuzahlen..."
Patient: "Nee, dann lauf ich lieber, sach ma den Hertransport muss ich doch auch bezahlen, da kommt doch so ne Rechungn über 10 Euro irgendwann, oder? Mensch dieser ganze Spass hier kostet mich jetzt schon 20 Euro für nix, warum habtn ihr mich hergeholt? Ich muss meine Kröten schwer verdienen, viel zu schwer um sie Euch in den Rachen zu schmeissen"
Ich:" Wir nehmen die 10 Euro für Ihre Kasse ein, wir haben gar nichts davon."
Patient: " Jaja, das sagen alle"
*zu mir gewandt, zeigt auf die Pralinen:* "krieg ich das Ferrera"
*die Schwester räumt die Pralinen nun schon fast panisch weg*
*Patient zu Schwester*:" Ooch komm! Du brauchst die doch wirklich nicht, du hattest doch heute schon die Meisten, oder nicht?"
*Schwester schnippisch*:"Die gehören mir nicht!"
Patient:*zu mir*"Die lügt doch"
Ich:" Schluss jetzt mit den Spielchen! Bleiben sie jetzt hier oder unterschreiben sie den Zettel?"
Patient:" Na wie lange soll ich den dann hierbleiben?"
Ich:" Vielleicht 2-3 Tage, aber mindestens solange bis sie den Alkohol losgeworden sind!"
Patient:" Nee, Alter geht gar nicht, gib ma her den Dreck"*kritzelt zweimal durchaus lesbar seinen Namen auf den Zettel*" also muss ich jetzt wohl heim laufen, oder was?"
Ich: " Das Angebot mit dem Taxi steht noch"
Patient:" Nee, nee, laßt mal, ich lauf..."
Die Schwester "Und was ist mit den 10 Euro?"
Patient :" Wenn du mir ein Ferrerrro gibst, dann bring ich sie Dir morgen abend vorbei, da biste doch im Dienst oder? So um 3.00, och komm bitte,bitte,bitte."
Die Schwester "Dann schreib ich halt ne Rechung"
*und stürmt wutentbrannt aus dem Zimmer um 2 Minuten später mit einer Bestätigung wiederzukommen*
Schwester:*mit einer Stimme nahe am absoluten Nullpunkt.*"Hier unterschreiben"

Danach machen wir alle Papiere fertig, schiessen noch ein Foto als forensischen Beweis, der Patient nutzt die Situation um noch einmal sein schönstes Lächeln in die Kamera zu grimassieren. Bei Übergabe der Papiere halt ich ihm die Hand hin.
Ich:" Tschüß und alles Gute..."
Der Patient *grinst* und schlägt ein:" Du bist in Ordnung , Alter" lehnt sich zu mir hinüber *wieder Knoblauch und Alkohol* und sagt zur Schwester gerichtet in gespieltem halblauten Flüsterton "Aber ich glaube sie, sie mag mich irgendwie nicht"
Grinst und haut ab.

Mittwoch, 27. Mai 2009

Ein ganz besonderer Dienst

Männertag... Früher war dieses Wort ein Quell unendlicher Freude. Schon Wochen vorher wurde überlegt, wo es denn hingehen könnte. Alle wurden antelefoniert, auch die Jungs, die mittlerweile weggezogen sind. Es wurden fleißig Einladungen verteilt und am Ende hatte man meistens ein nettes kleines Grüppchen gut gelaunter Männer zusammen, die ausgerüstet mit einer unglaublichen Menge Bier und sonstiger Alkoholika, sich warm trinkend in Richtung Bahnhof bewegten, um am Ende wieder die gleiche Route, wie immer zu nehmen...Männertag halt.

Also sagt man sich" An dem Tag haste keine Lust, Dienst zu schieben."
Ist ja klar. In den Jahren hat man so einiges selbst erlebt, vom fast allergischen Schock, bis hin zum gebrochenen Arm und dem Schädelhirntrauma. Nicht zu vergessen die leichte bis schwere Alkoholvergiftung mit oder ohne Bewußtseinsverlust, ohne die man ja ohnehin am Männertag in der Hackordnung wenig aufsteigt.
Also dachte ich mir, machste am Männertag keinen Dienst. So weit so gut. Blöd war nur das ich vergessen hatte auch den Folgetag in der Dienstplanung mit einzubeziehen. Das war nämlich ein Brückentag.

Tja, und was macht jeder vernünftige Mensch am Brückentag? Genau! Urlaub nehmen. Das war die erste Abfahrt, die ich verpaßt hatte. Die Lektion die ich hier lernte war folgende:

"Am Tag nach dem Tag X schlafen alle erstmal den Kater aus und dann beim Aufwachen merken sie, ups, ich hab ein riesen Loch im Bein. Hmmm. Hab ich gar nicht gemerkt gestern...aber heute, heute kann ich damit gar nicht mehr laufen, also geh ich mal zum Arzt."

Und hier kommt der Brückentag ins Spiel. Den haben nämlich meine lieben Kollegen der ambulanten Versorgung wie jeder vernünftige Mensch genutzt, um ihre Praxis zu schließen und das ohnenhin schon geschundene Budget etwas zu schonen.
Das heißt: Weit und breit kaum eine Hausarztpraxis offen und alle ambulant chirurgischen Kollegen hatten natürlich ihre Praxen ebenfalls geschlossen. Nicht jedoch ohne zu vergessen ihre täglich zu behandelnden Patienten in die Notfallambulanz für den Brückentag und das kommende Wochenende zu schicken.
Und so kam es wie es kommen mußte, mein Pieper meldete sich um 07.02 Uhr (Dienstbeginn 7.00) mit den ersten zu versorgenden Patienten von den lieben Kollegen. In meinem Fall waren es zwei wirklich geplagte Patienten mit Anokutanen Fisteln (Kanäle die den Enddarm mit der Haut in der Nähe des Afters verbinden, durch die Darminhalt fast permanent nach außen fliessen läßt) die gespült werden mußten.
Und zum Warmbleiben gesellten sich bereits die ersten "gestern" umgeknickten Füße in die Notfallambulanz, hinzu kamen die üblichen Gips- und Wundkontrollen, die eigentlich jeden Tag mal mehr mal weniger anfallen usw. Dass man immer etwas zu tun hat, ist normal. Der Unterschied heute war nur, das für jeden abgearbeiteten Fall, zwei bis drei neue Patienten kamen. Die Stimmung im Wartezimmer begann äquivalent zur Anzahl freier Stühle zu sinken und schon bald merkte man auch den Schwestern an (die übrigens unsere beste Sensorik bezüglich der Patientenstimmmung sind), das sich ein Volksaufstand ankündigt.

Als dann auch noch gegen 12.00 Uhr bei mittlerweile ca. 10 stehenden Personen im Wartebereich eine Notfalloperation fällig wurde (Loch im Dickdarm, dieses mußte unbedingt versorgt werden, da sonst absolute Lebensgefahr besteht), dachte ich mir: "Biste mal nett und gehst ins Wartezimmer und sagst den lieben Patienten, das es jetzt erstmal 2 Stunden dauert bis wieder etwas passiert. "
(Im absoluten Notfall steht auch mein internistischer Kollege zur Verfügung um die Leute zu behandeln, die leichten Fälle und das sind 90 % müssen allerdings warten, da der Kollege selber viele Patienten behandelt).
Ich also rein ins Wartezimmer und sag noch ganz nett, dass es uns leid tut, aber die Patienten könnten sicher verstehen, dass es absolut dringend ist und sie möchten ja auch wenn sie so krank sind, dass man sie gleich operiert.
Da werd ich von einer Angehörigen mit leicht hysterischem Ton angebellt, was mir denn einfalle... und ihre Verwandte würde bereits im Behandlungsraum sein... und die sei schwer krank und die hätte auch Diabetes und ... naja ich sag zu ihr, sie soll sich doch keine Sorgen machen, da ihre Verwandte doch jetzt bereits in Behandlung ist und die Schwestern passen auf und es kann ja nichts passieren. Dann geh ich ohne etwas zu ahnen in den Op-Saal, wo wir es tatsächlich schaffen das Darmproblem vor der angekündigten Zeit in nur 1,5 Stunden zu beheben.

Nach der OP, aus der mich der Kollege etwas früher entläßt, komme ich mit etwas zerzausten Haaren und einem unglaublichen Hunger, Durst und Harndrang (konnte ich alles bisher noch nicht befriedigen) wieder in die Notfallambulanz. Ich habe schon den Toilettentürgriff in der Hand , da nimmt mich gleich eine Schwester beiseite.
"Du die Verwandte von der Patientin in Zimmer X hat sich über Dich bei der PDL beschwert. Wir haben aber schon alles wieder schön gemacht und sie auf Händen getragen. Sie hat sich schon wieder beruhigt."

Und genau das ist eins der Probleme, die man in dem Job zunehmend bemerkt. Jeder noch so ferne Verwandte, der sich das ganze Jahr überhaupt einen feuchten Kericht um unseren Patienten kümmert, spielt sich im Krankenhaus fast zum Freiheitskämpfer für dessen Interessen auf.
Kennt man ja auch aus der eigenen Familie. Meistens gibts einen der sich kümmert und kein großes Federlesen daraus macht, aber immer gibts auch einen, der den dicken Maxl markiert, den der eigentliche Mensch, um den es geht, aber überhaupt nicht interessiert. Und so kommt es dann auch meistens zu dem was wir heimlich OMW-Syndrom nennen (Opa/Oma Muss Weg), man erfindet einfach irgendetwas, ein Symptom, das der oder die Patientin hat und liefert denjenigen oder diejenige im Krankenhaus ab (Vorzugsweise seit 5 Tagen keinen Stuhlgang, da wissen die Leutchen schon, das man das nicht so ohne weiteres in 5 Minuten klärt). Die werden sich dann schon im Kh um Oma/Opa kümmern. Das ist die Masche derer die sich schon auskennen.
Die Unerfahrenen probieren die soziale Schiene aus: "Also sie sind doch ein Arzt, da muss man den Leuten doch helfen" oder die "unwissende" Schiene "also wir kommen zuhause gar nicht mehr zurecht und wir wissen auch nicht an wen wir uns denn wenden sollen und da muss jetzt was gemacht werden, da haben wir ein Recht darauf (vorzugsweise Freitag abend um 20:30 Uhr)" und auf die Frage ob schon Kontakt bei Pflegeberatung oder Hausarzt gesucht wurde kommt immer ein nein.

Doch zurück zur Geschichte. Ich also nochmal dort rein ins Behandlungszimmer um nachzusehen was los ist. Sitzt da ne ultrafreundliche sehr zufriedene Verwandte, die unser Haus in den höchsten Tönen lobt. Und ich denk noch: "ups falsches Zimmer" aber nein nur Ergebnis von "(entschuldigung) Arschkriecherei". Direkt angesprochen auf die Beschwerde kommt nur:
"Naja ich war nur entsetzt sie waren ja total überfordert, ich meine nicht sie im speziellen, Herr Doktor, sondern die gesamte Abteilung, das hat mir schon Angst gemacht..."
Und dann rennt sie schnurstracks zur PDL (Pflegedienstleitung), die natürlich ankommt und den Schwestern ordentlich Dampf macht mit dem Ergebnis dass sich besonders um die erzürnte "Kundin" gekümmert wird. Das derweil ca 20 andere Patienten warten muessen spielt keine Rolle. Der "Kunde" ist König.
Weiter nachgeforscht ergibt es sich, dass unsere eigentliche Patientin derweil quietschvergnügt auf Ihrer Liege liegt, deftige Scherze macht und sie halt ein bisschen Schmerzen hat im Arm (aber geht schon Herr Doktor, im Krieg und beim Kinderkriegen hab ich schlimmeres erlebt) Auf die Frage hin ob sie den gestürzt sei oder was den passiert sei, erklärt die Patientin durchaus glaubhaft sie habe diese Schmerzen schon öfters und länger, sei aber vor 3 Tagen gestolpert und habe sich dabei mit dem Arm abgestützt während die Tochter mir zu verstehen gibt, das das so zu Hause nicht mehr geht und wir die Patientin unbedingt stationär aufnehmen müssen (Stichwort OMW). Die Patientin hat im übrigen überhaupt keine Lust ins Krankenhaus zu kommen , wer hat das schon, und wird dann erstmal schön bearbeitet.
"Du willst uns doch nicht schon "wieder" Ärger machen. Denk doch mal an X was der alles in der letzten Zeit .... "
Nach entsprechender Konditionierung der Patientin folgt dann die letzte totale Absicherung wiederum an mich,
" Also mit dem Arm kann sie sich zu Hause ja gar nicht helfen und außerdem ist sie dement, sie sehen ja, sie kann das gar nicht einschätzen."
Kommt mir eigentlich nicht so vor, die Patientin scheint eher vernünftig zu sein. Aber bevor die arme Dame dann zuhause alleine sitzt und nicht zurechtkommt oder was noch schlimmer ist sich unsere Verwandte erneut beschwert und man vom Chef dann eine Abmahnung kriegt wegen ungebührlichen Verhaltens...
Tja und was macht man dann? Dann nimmt man eine Patientin stationär auf, auf medizinischer Basis eigentlich nicht begründbar, man nennt das "Soziale Indikation" damit die armen gestressten Verwandten ihr Wochenende schön stressfrei verbringen können oder vielleicht auch ein paar Tage mehr, bei Leuten über 70 ist es ja nicht schwer in der täglichen Routine irgendeine Erkrankung zu finden.
Wäre an diesem Tag weniger los gewesen hätte, ich vielleicht noch versucht zu diskutieren, auf die Verantwortung und das Gewissen zu appelieren aber in dem Fall sagte ich mir, na wir haben noch ein paar Betten frei, auch wenns die Kasse ehh nicht bezahlt, dann nimmste die alte Dame halt stationär auf. Und so kams. Schöner Herrentag!

Vorstellung

Guten Tag!
Ich bin Arzt.

Dieser Blog enthält Geschichten aus dem richtigen Leben. Ich behalte mir nur manchmal vor, aus Datenschutzgründen und um die Identität der Betroffenen geheim zu halten, ein wenig die Details abzuändern. Ich denke da jeder Mensch schon einmal im Krankenhaus war oder beim Arzt, kann er diesen Punkt verstehen.

Also...Meine Arbeit besteht darin Menschen zu helfen. Auf medizinischer Ebene, dachte ich, als ich hochmotiviert, wie fast alle Studenten aus dem Studium kam und meine Ausbildung zum Chirurgen in einem kleinen Krankenhaus in einer mittleren Großstadt in Deutschland begann.
Schnell merkte ich, dass Theorie und Realität in einer Notfallambulanz nicht sehr nahe beieinander liegen. Damit will ich nicht sagen das ich schlecht ausgebildet worden wäre, nein!
Vielleicht ein bisschen zu theoretisch könnte man sagen. Naja...
Nach einer kleinen Schonfrist auf einer ca 30 Betten großen Station begannen für mich auch schon bald (nach 8 Wochen) die unter Mediziner so gefürchteten "Dienste". Das bedeutet, nach 8h Dienst noch für den Rest der 24h Bereitschaftsdienst in der Notfallambulanz abzuleisten.

Notfallambulanz...
Was bedeutet dieses Wort eigentlich? Notfall ist klar, aber Ambulanz... Wartet mal, Wikipedia sei dank. Hmmm... lateinisch für spazieren gehen. Eigentlich dachte ich immer nur wer schwer krank ist oder sich verletzt hat stellt sich in einer Notfallambulanz vor. Weit gefehlt, wie ich schnell lernen sollte. Der Name ist nämlich Programm. Aber ich greife zu weit, voraus.

Warum bin ich auf die Idee gekommen zu bloggen. Nun einer meiner Gründe liegt darin, vielleicht ein wenig edukativ zu sein, ein anderer darin, dass ich gemerkt habe, dass meine Geschichten, die ich aus dem täglichen Leben zu erzählen habe bei meiner Familie und meinen Freunden stets für Heiterkeit sorgen. Es gibt aber auch traurige Geschichten, sehr traurige Geschichten. Auch diese sollen hier zum Besten gegeben werden. Jedenfalls möchte ich die Seite der Notfallambulanz beleuchten, die von Patientenseite erst einmal nicht so wahrgenommen wird. Ich werde zum Teil Geschichten aus der Vergangenheit und aus der Gegenwart erzählen, da ich immer noch in einer Ambulanz arbeite und es immer wieder Erlebnisse gibt, die es wert sind erzählt zu werden.